Hallo, Klaus!
Der Baldwin-Effekt wird von einigen Evolutionstheoretikern als eine der wichtigsten Triebfedern der Evolution betrachtet und er läßt sich recht zwanglos auch auf Fische und Darwinfinken überetragen.
Beispiel: ein Darwinfink muß sich auf Grund einer Vegetationsänderung auf andere Nahrung umstellen. Das ist diesen Vögeln immer wieder passiert und es passiert auch heute noch. In wenigen Generationen paßt sich die Schnabelform der neuen Nahrung an. Auch das passiert immer wieder.
Sobald die Schnabelform ungeeignet ist, die vorher genutzte Nahrung zu fressen, entsteht nach Baldwin ein Selektionsdruck dahin, ein unbrauchbar gewordenes Nahrungssuchverhalten aufzugeben, nach dem Motto: was nicht gebraucht wird, geht verloren. Außerdem entsteht ein Selektionsdruck dahin, ein neues Futtersuchverhalten zu entwickeln. Ist dieser Prozeß abgeschlossen und die Nahrungsverhältnisse ändern sich wieder, ist wieder Platz für die Restbestände der Form mit dem ursprünglichen Nahrungsverhalten, die natürlich nicht ganz verschwunden, sondern nur zahlenmäßig weniger geworden ist. Es sind durch sympatrische Evolution zwei Arten entstanden. Die Sache funktioniert nur, wenn die beiden Formen nicht hybridisieren, weil dann eine auf beiden Nahrungssuchgebieten "inkompetente" Mischform entsteht.
Die Singvögel sind dieser Situation sehr gut angepasst, im Zuge der sexuellen Selektion wählen die Weibchen Partner, deren Gesang dem ihres Vaters möglichst ähnlich ist und die Männchen lernen den Gesang vom Vater. Es bilden sich Gesangsdialekte, die eine Kreuzungsbarriere bilden, lange bevor diese sich genetisch manifestiert. Das tut sie aber irgendwann, und da haben wir ihn schon wieder, den guten alten Baldwin-Effekt. Die Sache mit den Gesangsdialekten erklärt möglicherweise die Tatsache, daß die Singvögel die bei weitem artenreichste Vogelgruppe sind.
Das Szenario hier ist natürlich völlig zwanglos auch auf die Cichliden des Victoriasees zu übertragen usw. usw.
Gruß
Charly
"wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen" A. Camus
" wir müssen uns Camus als Dummschwätzer vorstellen" Sisyphos
... ja natürlich Charly,
und das ist wahrscheinlich der fantastischste evolutive Vorgang überhaupt.
Denn wenn man das sehr genau nimmt, und auch mal ganz von den Aminosäuren absieht, haben wir es mit einer unglaublich abstrahierten Fähigkeit zur Gestaltswahrnehmung (Umwelt, Nahrung, Suche und Nutzung von Entwicklungsalternativen ....) zu tun, die wir Tangaren- und Cichlidengehirnen nicht zutrauen und sich dort auch nicht reflektiert abspielen, sondern in noch sehr viel kleineren organischen Einheiten. Weitergesponnen, ganz im Sinne Poppers und dem von Lorenz allemal, gilt also für jede als bedarfs- oder situationsbedingt aufgenommene Information durch ein (höheres?) Lebewesen, der zweite Leitsatz der Thermodynamik: nichts geht verloren!
Auch darum ist jede hier geschilderte Beobachtung wertvoll und auch jede kritische Nachfrag (lieber Klaus).